Suchen Angehörige von Opfern nach Informationen, so dürfen die Unterlagen nicht mehr herausgegeben werden, wenn in ihnen andere Namen auftauchen. Auf diese Weise bleiben Täter weiterhin unbekannt.
Archive sind wieder verschlossen
Die staatlichen Archive des sowjetischen Repressionssystems sind heute wieder verschlossen. Lew Mischenko, der Protagonist im Roman, sagt zu seinem Freund Jakow Israelitsch: „Sie müssten auf dem Platz, wo diese hässliche Dserschinskij-Statue stand, einen Obelisk aufstellen und darauf die Namen aller Gulag-Gefangenen eingravieren. Wie hoch müsste dieser Obelisk sein? Was für eine Zukunft hat dieses Land, wenn es seine Vergangenheit leugnet?“ (Mehr als zwei Jahre vor Memorial-Verbot geschrieben.)
Damals, vor über fünf Jahren, fragte ich die Mitarbeiterinnen im Museum, wie schwierig es für sie sei, die Lager-Geschichte aufzuarbeiten (Randdaten zum Lager, deutsch: Link). Sie sagten, dass sie keine besonderen Probleme hätten. Der Regionalverwaltung sei doch bewusst, wie dort alles entstanden sei. Zugleich fand die Aufarbeitung aber fast nur auf dem Papier statt und mit Exponaten im Museum. Gebäude oder andere Zeugnisse des Lagers vor dem Verfall zu retten, war nicht möglich. Dies lag weniger am politischen Willen, sondern schlicht am fehlenden Geld.
Das Gebäude z.B., das ehemalige Gefängnis für Verbrechen im Lager, gebe es nicht mehr, erzählte mit eine Museumsmitarbeiterin am 22. Februar dieses Jahres. An jenem Tag berichtete ich ihr, dass das Buch in diesem Jahr erscheint.
Auf dem Bild ist der ehemalige Haupteingang zum Lager zu sehen. Nachdem es 1959 als Strafanstalt geschlossen wurde, war aus dem Holzverarbeitungswerk des Lagers ein gewöhnliches Holzverarbeitungswerk geworden. Wie an unzähligen anderen Orten in der Sowjetunion bildete sich aus einer Strafkolonie eine Stadt. Die Entwicklung Russlands und der Sowjetunion ist ohne das zaristische Verbannungssystem und das Straflagersystems überhaupt nicht zu verstehen.
Ein paar Bilder aus Petschora heute. Die Holzgebäude werden nach und nach geräumt, die Menschen müssen dann in „Neubauten“ umziehen, die häufig an einem ganz anderen Ort in der Stadt errichtet werden. (Bilder: Viktor Funk)
Zwei Eindrücke aus dem Museum, die Szene bzw die Fahne greife ich im Roman „Wir verstehen nicht, was geschieht“ auf:
Auf der Fahne steht: „Arbeit in der UdSSR ist eine Sache der Ehre, eine Sache des Ruhmes, eine Sache der Tapferkeit und des Heldentums.“
Mich persönlich haben aber ganz besonders die Bücher der Gefangenen berührt. Die Häftlinge hatten sie entweder mitgebracht oder geschickt bekommen. Sie waren sehr wichtig für das psychische Überleben. Ein ehemaliger Häftling sagte mir mal in einem Interview: „Ich habe dank der Bücher überlebt, ich habe das Leben der Protagonisten gelebt, mein eigenes hatte man mir genommen.“
*Tschekist: Angehöriger der nach der Oktober-Revolution gegründeten Geheimdienstpolizei Tscheka. Im Selbstverständnis der Geheimdienstler eine positiver Begriff.