Schreibend verbinden

Der Rote Platz kurz vor dem Sonnenaufgang.

In Zagreb erzählte mir mal ein schreibender Journalist, das Beste an seinem Job sei, er brauche nur einen Stift und Papier. Eine Autorin, die ich sehr schätze, schrieb mal: Im Gegensatz zu Malern, Bildhauern oder anderen Künstlern, die mit Materialien arbeiteten, brauche sie nur etwas, womit und worauf sie schreiben könne. Schreibend die Welt zu erfassen und die Geschichten in ihr zu finden, ist ein Privileg. Man braucht wenig und kann doch viel ausrichten.

Ich erinnere mich daran, wie mein Vater mir mal als Kind am Beispiel eines Hammers und eines Bleistiftes erklärte, dass der Bleistift mächtiger ist. „Und mehr Geld verdienst du damit auch“, sagte er. Das mit dem Geld ist so eine Sache …, aber ich verstehe, welche Macht in Worten steckt.

Auf einer langen Recherchereise duch Russland für eine neue Geschichte las ich ein Buch, das mich noch Monate lang beschäftigte. Es war in einem russischen Verlag erschienen und beschreibt populärwissenschaftlich, wie sich die russische Geschichtsschreibung entwickelt hatte. (Autor: Artjom Efimow; Titel: „Woher haben wir es? Versuche aus drei Jahrhunderten, Russland mit dem Verstand zu begreifen“) Und hier liegt schon das Problem: Eigentlich kann man von russischer Geschichtsschreibung nicht sprechen, denn die Geisteswissenschaften – und nicht nur die – waren in Russland lange westeuropäisch geprägt. Es gab einen regen Austausch zwischen den Denkern der Zarenzeit mit Kollegen in Westeuropa. Aber mit der Idee der Nation kam irgendwann das – naiv dämliche – Bedürfnis nach etwas Eigenem. Als ob Kulturen in einem sich nie ändernden Zustand vom Himmel fallen … Deutschland weiß zu gut, wohin diese Idee führen kann.

Gefährliche Tendenzen

Russland und Europa befinden sich gerade in einem Prozess, der mich besorgt. Nationalismus gehört zum guten Ton, nationalistische Tendenzen breiten sich aus. Ähnliches passiert in Teilen Europas. Konfrontationen nehmen wieder zu. Sie sind bisher vor allem verbal, aber in der Ukraine sehen wir auch, wohin das führen kann. Was dagegen hilft, ist das Gemeinsame. Und das Buch, was ich oben erwähne, zeigt auf eine sehr gute Weise, wie viel Gemeinsames es zwischen Ost und West gibt, wie es sich beeinflusst und einander damit in der Entwicklung hilft.

In der Frankfurter Rundschau habe ich das Buch von Efimow ausführlich vorgestellt. Hier ein kurzer Auszug, darunter der Link zum vollständigen Artikel:

„Es geht … um das Bild vom anderen; das Bild, das der Westen von Russland hat, das Bild, das Russland vom Westen hat, aber auch das Bild, das Russland von sich selbst hat. Kein Bild ist klar, es ändert sich durch den jeweiligen Zeitgeist. Und das Verdienst Efimows liegt darin, dass er herausarbeitet, wie stark die russische Staatsdoktrin seit den Zeiten von Peter des Großen (1672 – 1725) mit dem eigenen Bild ringt.“

Und hier der Link zum FR-Artikel, möge das Geschriebene wirken.